Wenn das Warten sich lohnt
Auf meinem kurzen Forschungsaufenthalt im November bewies ich einmal wieder, warum ich Philologe und nicht Archäologe bin. Obwohl mir zumindest auffiel, dass die Kalenderhane Moschee einmal eine byzantinische Kirche gewesen war, reichte es mir bei unserer ersten Begegnung, sie in Gedanken kurz mit meinem Geschichtswissen zu verbinden und dann weiter nach der U-Bahn zu suchen.
Sogar für ein Foto war ich zu träge, nur die rätselhafte steinerne Planke in der Fassade war mir die Mühe wert.
Zugegeben erinnert sie ja schon ein wenig an alte Piratenfilme – nur fehlt das Meer, wenn hier mal einer über die Planke gehen muss.
Das wirklich interessante war aber darunter. Rechts von der Planke befindet sich eine neue, schwere Metalltüre, die mir so gar nicht auffiel. Zugegeben war der Müll, den Passanten achtlos über den Zaun warfen, etwas ablenkend und nichts, was ich in dem Moment fotografieren wollte. Vielleicht sollte ich doch öfter an das nichtexistierende Sprichwort denken: Dem einen seine Müllgrube ist dem Archäologen seine Fundgrube. Als Nicht-Archäologe sah ich nur den Müll und ging weiter.
Unerwartet fand ich mich dann ein paar Tage später schon wieder bei einer privaten Führung vor dieser Moschee ein. Wir fingen an, herumzustehen und nichts geschah. Auf meine Frage, worauf wir genau warteten, wurde mir gesagt: Da ist eine Kapelle.
Um das Coronarisiko einzuschränken wurden wir in zwei Gruppen geteilt. Ich wartete mit der zweiten und als sie dann wiederkamen, fragte ich im Scherz: „Und? Ist es das Warten wert?“
Die verdiente Antwort darauf war: „Find es selbst heraus“
Die Geschichte, die ich dann entdeckte, war faszinierend: Jahrelang hatte man die Kapelle als Lagerraum für die Moschee verwendet, dann war sie wohl leer gestanden, bis sich einige Geflüchtete dort einquartierten. Unserem Kapellenführer war sie schon davor aufgefallen, aber es kostete ihn einige Überredungskunst, nicht nur die unoffiziellen Bewohner loszuwerden, sondern auch eine Tür anbringen zu lassen, um sie vor Vandalismus zu schützen.
Jetzt braucht man jemanden mit einem Schlüssel, aber wenn man wie ich Glück hat, dann kommt man hinein. Drinnen riecht es nach feuchten, alten Ziegeln und es hallt ein wenig in den vielen kleinen Winkeln und Nischen, wenn man redet. Aber eigentlich flüstert man, weil diese ehemalige Lagerhalle einer dieser Orte ist, die ein Flüstern verlangen, selbst wenn die gemalten Ikonen längst keine Augen mehr haben um vorwurfsvoll zu starren.
Was die historischen Mutmaßungen zur Kapelle angeht – ich war zugegeben ablenkt von ihrem Inhalt. Es sind also Angaben ohne Gewähr, wenn ich sage: Es waren westliche Mönche, die sie ursprünglich errichtet haben, aber später wurde sie von Byzantinern ausgeschmückt. Das „von den Byzantinern ausgeschmückt“ führt mich dann zu meinem Problem: Es war ablenkend, zu versuchen, die Gemäldereste zu erkennen und die Beschriftungen zu entziffern. Auffällig ist vor allem, dass besonders die Gesichter beschädigt sind. Aber auch wenn nur Überreste erhalten sind, kann man sich doch die beeindruckenden Farben und Verzierungen vorstellen.
Ich war begeistert und endlich bereit, Fotos zu machen.
Und als ich dann bei meiner Rückkehr gefragt wurde: „Und? War es das wert?“ – Konnte ich lachend antworten: „Definitiv!“
Lilli Hölzlhammer
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